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Europa

Europa – was tun, wenn Trump zurückkommt?

Thomas Wahl
Dr. Phil, Dipl. Ing.
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Thomas WahlFreitag, 21.07.2023
Der ECONOMIST stellt die drängende Frage, was würde Europa tun, wenn Donald Trump (oder ein ähnlich denkender Kandidat) die Wahl in den Vereinigten Staaten gewinnt? Man müßte das wohl als eine "Katastrophe" mit Ansage sehen.
Nur wenige europäische Staats- und Regierungschefs haben eine gute Antwort darauf. Viele ignorieren es; andere beten, dass Trump sich als weniger destruktiv erweisen würde als befürchtet, vielleicht vom Kongress und dem Pentagon zurückgehalten. Einige sprechen davon, seine gemäßigteren Gefolgsleute zu umwerben. 
Der französische Präsident Emmanuel Macron hat völlig recht, wenn er formuliert, dass wir unsere kollektive Sicherheit und unsere Stabilität nicht an die Entscheidungen der amerikanischen Wähler delegieren dürfen. Kann also die EU ohne die wirtschaftliche und militärische Macht der USA aus eigener Kraft bestehen?
Theoretisch ja. Europäische NATO-Verbündete sind industrialisiert und zählen fast 600 Millionen Einwohner. Sie haben fast 2 Millionen Bürger unter Waffen und jahrzehntelange Erfahrung in der Zusammenarbeit. Zwei von ihnen, Großbritannien und Frankreich, besitzen Atomwaffen und ständige Sitze im Sicherheitsrat der UN.

Andererseits machen die amerikanischen Beiträge zwei Drittel der gesamten NATO-Militärausgaben aus. Nur jeder Dritte der 30 Verbündeten Amerikas wird in diesem Jahr das Ziel der Verteidigungsausgaben von 2 % des BIP erreichen. Nun sollte selbst das ausreichen, um Russland in Schach zu halten. 

Aber Europa handelt nicht kollektiv. Seine Ausgaben sind auf Dutzende von oft unterversorgten Armeen, Luftstreitkräften und Marinen verstreut. Vieles davon geht an verwöhnte nationale Industrien.

Die Europäer scheinen sich mit dem Vasallen-Status abgefunden zu haben. Sie sind sich nicht einig über Prioritäten. Der Artikel beschreibt die Lage der Europäer wie folgt:

Sie vertrauen einander auch nicht genug, um zu entscheiden, was eine größere Autonomie mit sich bringen sollte. Europas zwei wichtigste Institutionen - die EU und die NATO - sind nicht vollständig verflochten. Wichtige Verbündete wie Großbritannien, Norwegen und die Türkei sind nicht Mitglied der EU. Die kollektive Verteidigung ist das Geschäft der NATO, die von Amerika geführt wird. Die Wirtschaftspolitik wird hauptsächlich von der EU bestimmt, die als Antithese eines militärischen Bündnisses geschaffen wurde. Insbesondere Frankreich hat versucht, die EU als Gegengewicht zu Amerika einzusetzen.

Eine aktuell konkrete Frage wäre: Würden die Europäer die Ukraine auch ohne Amerika weiter so unterstützen? Könnten sie es überhaupt?

Einige Diplomaten sagen, dass sie es tun würden; viele zweifeln daran. Europas Arsenale sind kleiner und erschöpfter als die Amerikas. Seine Verteidigungsindustrien leiden unter ähnlichen Übeln wie die Amerikas - Just-in-Time-Produktion auf Friedensniveau - was durch einen Mangel an jeweiliger Größe noch verstärkt wird.

Falls ein Wahlsieg Trumps dazu führen sollte, das sich die USA ganz aus dem Verteidigungsbündnis zurückziehen, würden wohl die Europäer eher versuchen, deren Strukturen zu übernehmen, anstatt die EU in ein Militärbündnis zu verwandeln. Das glaubt zumindest laut ECONOMIST Camille Grand, ehemaliger stellvertretender Generalsekretär der NATO. Die Europäer müssten aber auch die rund 85.000 Mann starken amerikanischen Truppen in Europa ersetzen. Darunter das Hauptquartierpersonal und 22 Kampfbataillone (etwa so viele wie Großbritannien insgesamt hat). 

Außerdem müssten sie die teuren "Enabler" beschaffen - wie Lufttransport und Luftbetankung, Weltraumausrüstung und ISR (Intelligence, Surveillance and Reconnaissance), die Amerika in in großer Menge bereitstellt. All dies könnte Europa ein Jahrzehnt kosten, um es aufzubauen, meint Grand.

Die Führung dieser komplexen Organisation würde für das auf komplexe und nicht immer sicher vorhersehbare nationale Entscheidungen angewiesene Europa ein Problem darstellen. Multinationale Entscheidungsfindung ist selbst in guten Zeiten schwierig, umso mehr in zeitkritischen militärischen Angelegenheiten. 

Den Europäern fehlt eine Führungspersönlichkeit, die den amerikanischen Hegemon ersetzen könnte. Deutschland ist von Pazifismus durchdrungen, obwohl es versprochen hat, seine Streitkräfte zu verstärken. Großbritannien ist wegen des Brexit von den europäischen Angelegenheiten halb abgekoppelt. Frankreich strebt danach, ein stärkeres Europa anzuführen, genießt aber weithin wenig Vertrauen.

Auch müssten die europäischen Atommächte ohne Amerika ihre nuklearen Doktrinen und Waffensysteme sowie ihre Zusammenarbeit mit den verbleibenden Verbündeten neu gestalten. So besitzt Russland allein fast 6.000 Atomsprengköpfe. Großbritannien und Frankreich verfügen in isolierten Doktrinen jeweils nur über etwa 200–300 davon. Wie will Europa da zukünftig verfahren? Gemeinsam mit einer Doktrin oder weiter mit den nationalen Atomwaffen?

Was die wirtschaftliche Autonomie und die gemeinsame Handelspolitik betrifft, scheint es in der EU etwas besser auszusehen. Die Leitlinien wurden 2021 vorgestellt und seither merkbar umgesetzt:

In Brüssel wird sie manchmal als "offene strategische Autonomie" bezeichnet, um Offenheit gegenüber der Welt zu signalisieren. Die Europäer bündeln nach und nach mehr wirtschaftspolitische Entscheidungen innerhalb der EU. Und dazu haben sie auch allen Grund, nachdem sie eine Reihe von Schocks erlebt haben, vom Mangel an Impfstoffen während der Pandemie bis zur russischen Invasion.

So kann man wohl die europäische Loslösung von Russlands Öl und Gas als Erfolg bezeichnen. Ähnliches gilt für die neuen wirtschaftlichen Maßnahmen der EU gegen China. Aber auch für Subventionen für Hightechindustrien wie Chip- oder Batterieproproduktionen. Die Frage ist, wo läuft das hin – eine Zukunft mit oder gegen Amerika? Sicher sind das  "Bausteine" der strategischen Autonomie, wie es Macron formuliert:

"Heute ist die ideologische Schlacht gewonnen", glaubt er. Doch zwei Modelle wetteifern um die Seele Europas und in Macron selbst. Die gute Version besagt, dass Europa sich selbst stärken sollte, um besser in der Lage zu sein, gemeinsame Werte und Interessen mit Amerika zu verteidigen. Das schlechte Modell, das in der Tradition des französischen Gaullismus steht, zielt darauf ab, Europa von Amerika abzulösen und einen rivalisierenden geopolitischen Pol zu schaffen.

Wir wissen auch nicht, was eine Wiederwahl Trumps für die "Mini-Trumps" auf der hart rechten Seite in Europa bedeuten würde. Die AfD in Deutschland, Marine Le Pen als Anführerin der Rallye Nationale in Frankreich stehen heute schon im Aufwind. Das könnte die EU weiter spalten. Unter besseren Umständen kommt es aber möglicherweise so:
Der Zweck der Nato, so heißt es oft, sei, "die Sowjetunion draußen, die Amerikaner drinnen und die Deutschen unten zu halten". Vielleicht kann die strategische Autonomie etwas Ähnliches bewirken. Wenn sie zu mehr militärischen Fähigkeiten führt, kann Europa seine Sicherheit selbst in die Hand nehmen, ….., während Amerika sich Asien zuwendet.  Es könnte sogar die beste Möglichkeit sein, …. den Wert Europas für Amerika zu demonstrieren. Wenn es richtig gemacht wird, könnte es helfen, Russland draußen zu halten, die Amerikaner drinnen, China draußen - und die Europäer zusammen.
Europa – was tun, wenn Trump zurückkommt?

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Kommentare 2
  1. Thomas Wahl
    Thomas Wahl · vor 9 Monaten

    Es tut sich wohl was - eine geopolitische Neubewertung in Frankreich?

    "Frankreichs "tournant historique" besteht aus einem doppelten Wendepunkt. Jeder berührt ein grundlegendes Gebot. Der eine ist die Mitgliedschaft der Ukraine in der Nato. Der andere ist die Erweiterung der EU-Grenzen nach Osten und Süden. Frankreich, das einst skeptisch gegenüber der Aufnahme von Neuankömmlingen in eine der beiden Gruppen war, hat sich im Stillen zu einem Befürworter von beidem entwickelt.

    Im Vorfeld des Nato-Gipfels im Juli in Vilnius, der Hauptstadt Litauens, haben viele von Frankreichs erstaunten Verbündeten zum ersten Mal seinen neuen Ansatz begriffen. Frankreich stellte sich an die Seite Großbritanniens, Polens und der baltischen Staaten und plädierte für einen schnellen Beitritt der Ukraine zum Bündnis nach dem Krieg. "Wir brauchen einen Weg zur Mitgliedschaft", erklärte der französische Präsident Emmanuel Macron am 31. Mai in Bratislava, der Hauptstadt der Slowakei. ……

    Die zweite Veränderung Frankreichs in Bezug auf die EU-Erweiterung ist weniger sichtbar. Eine Entscheidung über die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine (und der Republik Moldau) ist erst im Dezember 2023 fällig, nach einer ersten Diskussion im Oktober. Die Gespräche sind jedoch bereits in vollem Gange, nicht zuletzt, weil eine solche Erweiterung komplexe Änderungen an den Regeln der internen Organisation der EU erfordern würde. Eine deutsch-französische Arbeitsgruppe befasst sich mit den Auswirkungen. Die Europäische Kommission wird im Oktober einen Bericht über die Erweiterung, auch um die westlichen Balkanländer, vorlegen. ……

    Der Krieg gegen Russland hat Macrons Ansatz verändert. Letztes Jahr bemühten sich seine Diplomaten um Unterstützung für die Entscheidung der EU, der Ukraine den Kandidatenstatus zu gewähren. Frankreich hob sein Veto gegen die Bewerbungen von Albanien und Nordmazedonien auf, so dass die Beitrittsverhandlungen beginnen konnten. Die Wärme von Macrons Rede in Bratislava hat die Mittel- und Osteuropäer, die lange Zeit für eine erweiterte EU waren, verblüfft. "Die Frage für uns ist nicht, ob wir uns erweitern sollten", erklärte er, "sondern wie wir es tun sollten." …"

    https://www.economist....

  2. Marcus von Jordan
    Marcus von Jordan · vor 9 Monaten

    Danke für deinen tollen Service. Sehr spannend.

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